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Historische Hurentour - Gästeführungen auf der Reeperbahn

Sir_Rowan
Gästeführungen auf der Reeperbahn

Von Axel Peter Schröder (Deutschland Radio Kultur

Die Reeperbahn in Hamburg gilt als die sündigste Meile Deutschlands und zieht jährlich hunderttausende von Besuchern an. Dass hier auch ganz normale Menschen leben und arbeiten gerät dabei schnell in Vergessenheit. Die Gästeführerin Gerritje Deterding vermittelt deshalb in ihrer "Historischen Hurentour" nicht nur Geschichtliches, sondern versucht auch, das schräge Bild vom Milieu gerade zu rücken.

[color=orange:8f1898e354]Wir gehen noch ein kleines Stückchen weiter. Ich hoffe, dass es jetzt auf der Reeperbahn ein bisschen ruhiger ist. Wir werden noch einmal stehen bleiben zwischendurch und dann erzähle ich Ihnen ein bisschen was über die Seemanns-Prostitution, die hier natürlich auch stattgefunden hat, die ja sehr kurios gewesen ist und dann werden wir anschließend in einen Dark-Store hineingehen. Keine Angst, da ist es nicht dunkel. Ein Dark-Store … [/color:8f1898e354]

Im Halbrund stehen acht Zuhörer um die eher kleine Frau mit dem seltsamen, roten Hut herum. Der erinnert mit seinen rechts und links abstehenden Flügeln an das Hütchen von Frau Antje aus der Gouda-Werbung und Gerritje Deterding, die das Ding auf dem Kopf trägt, ist Holländerin. Nach Hamburg kam sie mit 20, als Fotografin, und verliebte sich, Stück für Stück, wie sie sagt, in einen Busfahrer aus St. Pauli. - Heute arbeitet sie als freiberufliche Gästeführerin, ist 53 Jahre alt, ein wenig rundlich und seit einem Jahr erklärt sie auf der "Historischen Hurentour" den Hamburg-Touristen, warum es Frauen nicht erlaubt ist, durch die Herbertstraße zu flanieren, was einer Hure von den 100 Euro bleibt, die sie für ihre Dienstleistung verlangt und sie erklärt ihre unter dem Kinn festgezurrte Haube:

[color=orange:8f1898e354]So sahen die Huren aus vom 16. bis zum 19. Jahrhundert und es war natürlich eine Stigmatisierung, ein Kennbarmachen von unsoliden Frauen. Und wenn eine Hure erwischt wurde beim Beischlaf mit einem Juden, das war die schwerste Strafe, die sie bekam, dann wurde ihr ein Ohr abgeschnitten. Ja.[/color:8f1898e354]

Ohne Haube und ohne das blassrote, sackartige Gewand von der Hurentour, sitzt Frau Deterding im Café Finkenwerder. Mit kurzen, blonden Haaren und hellblau-weiß gemusterter Bluse, direkt an der Hafenmole, vor sich eine Tasse Kaffee. Die Sonne scheint und selbst hinter ihrer Sonnenbrille muss sie die Augen zusammenkneifen.

[color=orange:8f1898e354]Ich war mit meinem Mann privat in London. Da haben wir eine Führung mitgemacht. Das tut man als Gästeführerin, wenn man in fremden Städten ist. Und diese Führung hieß "Jack he Ripper". Der hat die Prostituierten umgebracht. Der Gästeführer hat aber ganz viel über das Prostitutionswesen in London erzählt und dabei kam mir der Gedanke, dass das ein superspannendes Thema ist.[/color:8f1898e354]

Zurück in Hamburg setzte sie sich ans Konzept der Hurentour, sammelte Daten und Zahlen rund um die Prostitution in der Hansestadt und sprach mit denen, die im Rotlichtviertel ihr Geld verdienen.

[color=orange:8f1898e354]Nicht nur mit Prostituierten, sondern auch mit Bordellbetreibern, mit Zuhältern, mit Wirtschafterinnen, mit Betrieben, die rund um die Herbertstraße sitzen, die mit dem Milieu ständig zu tun haben. Einige Sachen kann man sich nur aus dem Milieu sagen lassen, weil das Ergebnisse sind, die nirgends niedergeschrieben sind.[/color:8f1898e354]

Das Milieu kannte die zweifache Mutter schon vorher sehr gut. Drei Jahre lang war sie Geschäftsführerin der IG St. Pauli, der Interessengemeinschaft St. Pauli, in der sich alle treffen, die am Reeperbahn-Kiez verdienen: Bordellbesitzer, Hauseigentümer, der Varieté-Chef, der Barbesitzer, die Sex-Shop-Vertreter und auch die Gästeführerin. Gerritje Deterding hat sich die "Hurentour" deutschlandweit patentieren lassen und beschäftigt ein Jahr nach Beginn der Tour fünf Gästeführerinnen. Die Touren sind ausgebucht, zwei Drittel der Teilnehmer sind weiblich und die meisten kommen mit viel Neugier und, sagt Frau Deterding, mit einer Menge Klischees in den Köpfen.

[color=orange:8f1898e354]Die hopsen dann vor uns rum und fragen dann: "Wo sind die Zuhälter? Haben die auch ein Messer, haben die auch einen Revolver, schießen die auch?" - Das passiert… Das Fernsehen kann nicht die Schattenseiten zeigen, das zeigt eher die Sonnenseiten oder besser: Das Fernsehen zeigt das, was sie für die Sonnenseite halten und das wird von vielen Menschen dann für bare Münze genommen. Die Wirklichkeit ist anders. - Und das hören die dann auf der Tour.[/color:8f1898e354]

Auf der Tour nennt sich Gerritje Deterding "Magdalena" und jedes Mal herrscht unter ihren Gästen großes Staunen, wenn es in den Dark-Store geht. Im ersten Stock des kleinen Geschäfts stehen ein Ehepaar in den Siebzigern, eine Ethnologie-Studentin mit Notizblock, zwei befreundete Pärchen, drei junge Männer, zwei mit Schnauzer, einer ohne. An den Wänden hängen Peitschen, Zwangsjacken und Stachelhalsbänder:

[color=orange:8f1898e354]Hier sind sie gelandet in einer so genannten Dark-Side-Boutique. Dark-Side-Boutique bedeutet: dies ist ein Shop, der neben verschiedenen sexy Souvenir-Artikeln auch Artikel verkauft für die so genannte Lack- und Leder- oder für die S/M-Szene. Sadomasochismus ist nichts Neues. Das kommt eigentlich aus ganz, ganz alten Zeiten. Entstanden ist es aller Wahrscheinlichkeit nach … [/color:8f1898e354]

Ganz sachlich geht Gerritje Deterding das Thema an, erklärt den Unterschied zwischen den Peitschen in den Regalen und spricht nüchtern über allerlei Fetischismen. Eine ältere Dame unter den Gästen schüttelt von Zeit zu Zeit den Kopf, Daumen und Zeigefinger halten ihre Kinnlade.

Ältere Dame:[color=orange:8f1898e354] Mein Eindruck ist wirklich: es übersteigt jede Art von Vorstellung - man muss es gesehen haben. Von alleine kommt man nicht auf die Idee, dass es solche Gegenstände gibt. Und das Leute Spaß haben, damit umzugehen. Also mich entsetzen sie eher, aber ich finde es gut, dass ich es mal gesehen habe. Also ich ab das noch nie gesehen. Ich bin jetzt siebzig Jahre alt (lacht).[/color:8f1898e354]

Die anderen Hurentour-Gänger sind nicht minder beeindruckt:

Junge Frau: [color=orange:8f1898e354]Ja, schon merkwürdig, dass es so etwas gibt, gell? Oder auch diese Masken, das ist ja wirklich schon echt gefährlich, die ganze Angelegenheit oder auch diese Fisting-Dinger. Also, das ist ja dann schon nicht mehr normal so was. Na ja… Interessant![/color:8f1898e354]

Älterer Herr: [color=orange:8f1898e354]Man sieht hier die Dinge, die man sonst immer nur hinter vorgehaltener Hand oder in Herrenrunden hört. Gut, man hat mal gesehen. - Nein, also mich kann das nicht umhauen. Ich bin auch jahrelang zur See gefahren, ich kenne vieles. Da ist man doch schon starken Tobak gewohnt. [/color:8f1898e354]

Tatsachen will Gerritje Deterding vermitteln, das meist schräge Bild vom Milieu gerade rücken, Vorurteile abbauen und klarstellen, das die Huren einen Job machen wie andere Leute auch:

[color=orange:8f1898e354]Also, ich denke, meine Aufklärung ist besser als die durch die Presse. Wenn die Presse besser aufgeklärt hätte, hätten wir diese ganzen Klischees nicht, weil die ja von den Medien kommen. (…) Meine Message ist: Man sollte die Menschen, die in dieser Szene arbeiten, nicht wie Aussätzige meiden. Es sind ganz normale Menschen, mit ganz normalen Wünschen, mit ganz normalen Träumen. Und ich möchte, dass das als solches auch gesehen wird. - Der eine verdient sein Geld als Journalist und die andre verdient ihr Geld als Hure. Da soll doch jeder das machen, was er selber will…[/color:8f1898e354]